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Junges Bistum Dresden Meissen
02. April 2020 | Jasmin Hack

#perspektivwechselcorona

Hallo Ihr Lieben, 

heute möchte ich meine Gedanken zur aktuellen Lage mit Euch teilen. Vielleicht geht es Euch in einigen Punkten ja ähnlich, vielleicht aber eben auch nicht. Deshalb würde ich dazu gerne mit Euch ins Gespräch kommen. Aber ersteinmal zu mir: Ich heiße Jasmin Hack und bin seit 2018 Jugendreferentin für das Dekanat Leipzig.

Die Corona-Krise stellt uns vor viele Fragen. Das verbindet uns, egal ob wir aus den Städten unseres Bistums kommen oder eher aus den ländlichen Gebieten. Wann und wodurch ist die Situation dermaßen ins Negative gekippt, dass wir alle von den Auswirkungen der Corona-Krise betroffen sind, auch wenn wir uns vielleicht nicht zu den Infizierten zählen müssen?

Wie wird unsere Welt nach Corona aussehen? Gibt es eine Einteilung der Zeit in „vor der Krise“ und „nach der Krise“? Wann wird man wieder unbeschwert mit Freund*innen im Café sitzen oder durch die Clubs und Kneipen ziehen? Solche Vergnügen bleiben uns vorerst versagt. Wichtige Marker im Leben von Menschen, die einzelne Lebensphasen entscheidend mitbestimmen, wie z.B. die Erstkommunion, Abschluss von Schule oder Ausbildung, Hochzeiten und Trauerfeiern, müssen verlegt werden oder fallen ganz aus. Nichts daran ist gut und nichts daran sollte beschönigt werden im Sinne von „endlich mal schulfrei“ oder „es sich zu Hause gemütlich machen“. Ich bin hin- und hergerissen zwischen einer rationalen Sichtweise auf eine notwendige Reduzierung unserer Kontakte und der sozialen Sichtweise bzw. der Angst, was angesichts eines Kontaktverbots aus unserer Gesellschaft wird.

Habt Ihr mal auf die Sprache geachtet, die in den Nachrichten, politischen Magazinen und Zeitungen verwendet wird? Ich finde, die Sprache hat sich sehr geändert. Überall ist von „Infektionsketten“ und je nach Bundesland von „Ausgangsbeschränkungen“, „Kontaktverboten“ oder gar „Lockdown“ die Rede. Man ruft den Notstand in Hochrisikogebieten aus und spricht Reisewarnungen aus. Mitten in Europa sind wieder Grenzen errichtet worden, ohne dass wir viel Notiz davon genommen haben. Wie konnte das alles so plötzlich passieren? Auch Begriffe wie „Passierscheine“ oder „systemrelevante Berufe“ oder die Einteilung in „Risikogruppen“, das alles und die sterile, bürokratische, teils aus dem Militärischen entlehnte Sprache ruft bei mir eher unangenehme Gefühle hervor. Freilich ist mir klar, dass systemrelevante Berufe in Zeiten der Krise dafür sorgen, dass alles irgendwie rund läuft, dass der Alltag bestmöglich funktioniert, dass Menschenleben gerettet werden können. Auf Berufe wie Mediziner*in, Polizist*in und Verkäufer*in kommt es also an. Aber was ist mit den anderen? Was ist mit den Künstler*innen, Musiker*innen und Kulturschaffenden? Sind sie weniger wichtig? Zum Leben gehört nicht nur das Funktionieren und Überleben; Leben bedeutet auch die Teilhabe an Kultur und das Pflegen sozialer Beziehungen. Kultur ist der Motor einer Gesellschaft. Kulturstiftend sind häufig Orte, wo Menschen zusammenkommen, z.B. Theater oder Bildungseinrichtungen. Das alles ist, für den Moment zumindest, heruntergefahren.

In den Nachrichten scheint es, als wäre die Zeit der Virolog*innen angebrochen. In vielen TV-Sendungen treten sie als die Expert*innen schlechthin auf, und zukünftig werden sie sicher gefragte und geschätzte Berater*innen sein. Pharmakonzernen, die erfolgreich einen Wirkstoff gegen das Corona-Virus entwickeln, winken goldene Zeiten.

Gerade habe ich einen Roman gelesen (kleine Buchhandlungen bieten mittlerweile fast alle Online-Versand an, bitte nutzen!), in dem existentielle Ängste thematisiert werden, die Angst um die eigene Gesundheit und die unserer Angehörigen sowie die Frage, wie unter diesen Umständen Zukunft gestaltet werden kann. In einem der Nebenstränge wird von einem ambitionierten Bakteriologen und Forschungsreisenden erzählt (von der Autorin bewusst in Anlehnung an Robert Koch geschaffen worden), der im ausgehenden 19. Jahrhundert eine Forschungsexpedition nach Ostafrika unternimmt, um die Auswirkungen der Cholera zu untersuchen und ein Heilmittel zu finden. Seine Sekretärin und Assistentin, eine der Protagonistinnen des Buchs, begleitet ihn, was für eine Frau in dieser Zeit sehr ungewöhnlich war. Sie wird durch ihren Forschungsdrang, ihren Mut, ihre Entschlossenheit und vor allem ihre Solidarität mit den Ärmsten der Bevölkerung charakterisiert. Es gibt zahlreiche Bücher und Filme mit vergleichbarem Handlungsverlauf. Immer steht der Kampf gegen eine Epidemie oder Krankheit im Vordergrund, denen die Protagonist*innen auf unterschiedliche Art begegenen. Einige fühlen sich ohnmächtig im Angesicht der Katastrophe, erstarren und werden handlungsunfähig, andere erstarken und beweisen Handlungssicherheit, Tatkraft und Solidarität. Letztere könnten für uns zum Vorbild werden, auch wenn uns der Mut manchmal verlässt und wir meinen, die vielen Herausforderungen nicht meistern zu können. Die Jugendlichen und Jungen Erwachsenen in meinen Aufgabenbereichen fallen durch ihre Begeisterungsfähigkeit und Entschlossenheit auf, schwierige Situationen zu benennen und aktiv etwas dagegen zu unternehmen. Das haben nicht nur die Fridays for Future gezeigt.

Also: werdet kreativ, nutzt die sozialen Medien, überlegt Euch, was Ihr in der Krise Gutes und Sinnvolles für Euch und andere tun könnt; ob Anrufe bei den Großeltern, Einkäufe für Ältere und Kranke, musikalische Aktionen auf Euren Balkonen, alles trägt zur Gestaltung der Gesellschaft bei, wie wir sie nach der Krise haben wollen.

Um auf meine Frage vom Anfang zurückzukommen: wie sieht die Welt nach Corona aus? Vielleicht sind wir mit einer völlig neuen Welt konfrontiert. Statt ängstlich zu sein, sollten wir vielmehr die Chancen sehen. Diese neue, andere Welt bietet nämlich auch viele Gestaltungsspielräume. Und dafür schaffen wir jetzt die Grundlagen.